Ausgrenzung erfahrbar gemacht

von Bernd Lindenthal

Eine Kunstausstellung wurde am Mittwoch, dem 21. September, in der Gedenkstätte Trutzhain eröffnet. Schüler dreier 8. Klassen der Melanchthon-Schule präsentierten Ergebnisse ihrer Auseinandersetzung mit den Themen Menschenrechte, Rassismus und Ausgrenzung damals und heute am historischen Ort. Besondere Brisanz erlangte das Projekt durch den zeitgleichen Überfall Russlands auf die Ukraine.

Bürgermeister Pinhard begrüßte die sehr zahlreichen Gäste, dankte den Schülern für ihr Engagement und betonte, dass es gerade heute wichtig sei, „klare Kante zu zeigen“. Heidrun Kalbfleisch erläuterte, dass nicht historisches Wissen im Zentrum gestanden habe, sondern die Sensibilisierung für den Wert jedes einzelnen Menschen. Es sollte Raum gegeben werden, eigene Erfahrungen, Stimmungen und Gefühle in unterschiedlichen Formen zum Ausdruck zu bringen. So lauteten die Einstiegsfragen: „Was macht es mit mir selber, wenn ich Ausgrenzung erfahre?“, „Was macht der Ort – das Lager und seine Friedhöfe – mit mir?“

Kunsterzieherin Julia Schick verwies auf die Vielfalt der praktischen künstlerischen Umsetzung und gab kurze Erläuterungen zu den Werken, ebenso einige Schüler/innen. Im Eingangsbereich fällt das Wort FRIEDEN auf, dessen Buchstaben nach unten purzeln. Daniel Ruff (8c) wollte so auf die Zerbrechlichkeit unserer Ordnung aufmerksam machen. In einer Vitrine zeigen Clara Bergmann, Greta Graß und Jana Lichtenfels (alle 8c) kleine farbige Tonfiguren, deren Gesichter durch ein Holzschild mit Nummer verdeckt sind. Sie haben sich mit den Gefühlen der Gefangenen auseinandergesetzt, deren Identität genommen wurde. „Wie ein Krieg Menschen die Existenz raubt“ heißt das Ton-Objekt von Mia Allendorf, Laura Stein und Lena Vollmann (alle 8a) mit einer besonderen Geschichte. Wie es sich anfühlt, etwas zu verlieren, was man mühsam aufgebaut hat, konnten die Schülerinnen nachempfinden, als ihr zerstörtes Haus beim Trocknen versehentlich von anderen Schülern zusätzlich zerbrochen wurde. Sie haben es aber als Trümmerhaus wiedererrichtet.

Neben vielen Akrosticha – Gedichte, in denen Buchstaben so gesetzt sind, dass sie senkrecht ein neues Wort bilden – verdient eine Collage von Max Wagner (8c) über die kommende Fußballweltmeisterschaft in Katar das Interesse. Er thematisiert die katastrophalen Bedingungen der zumeist ausländischen Arbeitskräfte und dokumentiert daneben die zynischen Kommentare von Franz Beckenbauer und Joseph Blatter. Neben Schrift, Collagen und Videofilmen gibt es auch Malerei (z.B. von Lina Rühl und Leonie Schäfer, beide 8a) und ein Online-Quiz von Veit Kalbfleisch (8b) zu entdecken. Karl Christian Kugler Cruz hat folgendes gefühlvolle Gedicht beigesteuert:

Einst bei den Kindern
Einst bei der Frau
Einst noch zu Haus und dann
Fort aus dem Traum
In das Toben der Schlacht
Und das Feuer des Zorns
Die schreienden Männer
Die sterbenden Seelen
Dann nur noch ein Schuss
Und die Stille der Angst
Ein schlimmes Gefühl
Ein kaltes Gefühl
Der Drang zu rennen
Weg, nur noch weg
Bis zum Schluss

Daniela Forst, Gedenkstättenleiterin Karin Brandes und Thomas Dittschar – stellvertretend für alle Erwachsenen – verhehlten nicht, dass sie skeptisch gewesen seien, ob dieses Projekt mit so jungen Menschen gelingen könne. Im Ergebnis kann man aber feststellen, dass es den Schülerinnen und Schülern sehr wichtig war, den Wert des Menschen herauszustellen und dass sie die Freiheit der künstlerischen Ausdrucksformen genossen haben. Außerdem haben sie erlebt, wie aktuell Geschichte ist. Weil gerade dann, wenn es schwer ist, Gedanken in Worte zu fassen, der Zugang über die Kunst ein guter Weg ist, wurde dem Wagnis der Erfolg beschert. Meisterlich begleitet wurde die Vernissage von Andreas Fiebig auf der Klarinette.

Fotos: Wolfgang Forst

WordPress
Theme: MSS75