In der Idylle, aber mitten im Leben

Artikel von Olaf Dellit, Redakteur im Medienhaus der EKKW, der unsere Schule im Jubiläumsjahr besuchte.

Ein bisschen abseits liegt sie schon: An der Bundesstraße zwischen Trutzhain und Riebelsdorf in der Schwalm geht es links ab Richtung Wald, dann erreicht man ein kleines Idyll: die Melanchthon-Schule. 670 Schülerinnen und Schüler besuchen das einzige Gymnasium in der Trägerschaft der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck. In diesem Jahr wird dort, im Steinatal in der Schwalm, das 75-jährige Bestehen gefeiert. Zum großen Festprogramm gehört ein feierlicher Gottesdienst mit Bischöfin Dr. Beate Hofmann am Freitag, 14. Juli.

Geplant war es nicht, als die Landeskirche vor einem Dreiviertel-Jahrhundert die Schule aus einem Provisorium heraus gründete (siehe weiterer Artikel). «Das ist uns zugefallen», sagt Dr. Michael Dorhs, Schulreferent im Landeskirchenamt. Nun aber ist der Stolz auf diese Schule groß. Auf die Frage, was nun das spezifisch Christliche oder Evangelische an der Melanchthon-Schule ist, erzählt Schulleiterin Dr. Anke Holl von einer Schülerin, die sich nicht dem weiblichen Geschlecht zugehörig fühlte. Auf den vorhandenen Damen- und Herrentoiletten fühlte sie sich nicht wohl. Die Schulleitung handelte schnell und wies einige Toiletten – Räume gab es ausreichend – als «unisex» aus. Das alles sei ohne großes Aufsehen gemacht worden und dieses Klima des Vertrauens zeichne die Schule aus: «Jeder Mensch wird bei uns als Ebenbild Gottes wahrgenommen.»

Im Schulprogramm ist der Anspruch festgelegt, dass sich das Gymnasium «als Bildungs- und Erziehungsgemeinschaft, in der auf der Basis des christlichen Menschenbildes miteinander gelehrt, gelernt und gelebt wird» versteht. Das macht sich auch institutionell an verschiedenen Stellen fest. So ist der Religionsunterricht (evangelisch oder katholisch) verpflichtend, Ethik oder Philosophie gibt es nicht. Der Anspruch, Schüler und Schülerinnen «beim Erwachsen- und Mündigwerden» zu begleiten, wie es Holls Stellvertreter Martin Michel formuliert, ist in den schulischen Altersabschnitten verankert.

In Klasse 5/6 ist das Ziel «Ankommen und miteinander vertraut werden», in 7/8 «Selbstvertrauen gewinnen und Verantwortung übernehmen», in 9/10 «Eigenverantwortung stärken und Horizonte erweitern» und in der Oberstufe schließlich «Individualität weiterentwickeln und gesellschaftliche Verantwortung erkennen und annehmen».   

Für die neuen Schüler und Schülerinnen sieht das beispielsweise so aus, dass sie Menschen interviewen, die an der Schule arbeiten – ob Hausmeister oder Mitarbeitende in der Schulmensa. Die Melanchthon-Schule pflegt eine Kooperation mit der Hermann-Schuchard-Schule von Hephata, die von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung besucht wird. Gegenseitige Besuche erweitern die Horizonte. So gibt es in allen Klassen besondere Projekte und Impulse, ob es um die Natur und die Verantwortung für die Schöpfung geht, um ein sozial-diakonisches Praktikum, etwa in Kindergärten, Altenheimen oder auch im Hospiz, oder um demokratische Teilhabe in der Schülervertretung. Das Spektrum ist groß, ob Kunst, Musik oder Sport. Die Schule hat sogar ein kleines Schwimmbad, wichtig in einer Zeit, wo beklagt wird, dass junge Menschen oft nicht mehr schwimmen können. «Unsere Abiturienten gehen nicht unter», sagt Holl.

Der evangelische Charakter des Gymnasiums macht sich im Alltag auch in Andachten und Gottesdiensten bemerkbar. Gottesdienste stehen zu Weihnachten und Ostern, aber auch zum Abschluss und Beginn eines Schuljahrs im Kalender. In diesem Jahr war zunächst überlegt worden, den Festgottesdienst mit der Bischöfin eine Woche vor Ferienbeginn als liturgischen Schlusspunkt zu nehmen. Doch schnell sei klar geworden, dass die Schulgemeinde nicht ohne einen Reisesegen in der letzten Schulwoche in die Ferien starten möchte, erzählt Schulleiterin Holl. So gibt es also noch einen weiteren Gottesdienst. 

Wichtig ist der Schule auch die Zusammenarbeit mit umliegenden Kirchengemeinden. Das passiert vor allem im musikalischen Bereich. So finden die Weihnachtskonzerte in Kirchen der Schwalm statt und es gibt eine Zusammenarbeit mit den Posaunenchören. Der Schulposaunenchor, auch das eine Besonderheit, ist die älteste Arbeitsgemeinschaft der Melanchthon-Schule, er besteht bereits seit 45 Jahren.    

Schließlich soll noch eine Besonderheit erwähnt werden, die die Schule auszeichnet: Seit mehr als 20 Jahren gibt es dort ein Beratungsnetzwerk. Damals reifte die Erkenntnis, dass es auch an Gymnasien Schüler und Schülerinnen gibt, die beispielsweise mit ADS oder einer Lese-Rechtschreibschwäche zu kämpfen haben. Eine Lehrerin ist ausgebildet und kann entsprechende Tests selbst anbieten, sodass lange Wartezeiten dafür entfallen. Im Beratungsnetzwerk tauschen sich Mitarbeitende der Schule regelmäßig mit externen Fachleuten über solche und andere Fälle aus, ein schulinternes Beratungsteam bespricht sich sogar wöchentlich. So kann schnell und gezielt Hilfe angeboten werden. Durch die Corona-Pandemie sind psychische Probleme noch stärker ein Thema geworden, bestätigen Holl und Michel. Umso wichtiger, dass es Diagnose und Hilfe in der Schule gibt. 

Es ließe sich noch viel mehr über dieses Gymnasium schreiben, über die Menschen, die dort arbeiten, lehren und lernen, über die vielen unterschiedlichen Projekte und Ideen – und über die Punkte, an denen das christliche Menschenbild aufscheint. «Die Kinder bekommen viel für ihren Lebensweg mit», ist Schulleiterin Dr. Anke Holl überzeugt. Denn irgendwann führt sie der Weg wieder raus aus dem Steinatal – zurück auf die Bundesstraße zwischen Trutzhain und Riebelsdorf und in die weite Welt.

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